47. Hamburg im Deutschen Bund
Die Faust in der Tasche
1815 wurde der Deutsche Bund gegründet. Das aufgeklärte Establishment der Republik im Senat wollte auf Distanz bleiben, was zu wilden Angriffen der Nationalen führte, die den Antisemitismus als politisches Kampfmittel entdeckten: Allerweltsjudenstadt, das war ihr maßloser und ressentimentgeladener Vorwurf.
Dies ist Teil 47 der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung ihrer Republik 1790–1835. Die Einleitung beschreibt, worum es geht, und ein Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel findet sich hier.
H a m b u r g s o l l a l s u n a b h ä n g i g e r S t a a t w i e d e r h e r g e s t e l l t w e r d e n,[1] das schrieb Amandus Augustus Abendroth schon Anfang 1814 in Kiel an der Ostsee. Es war der erste Satz seiner Wünsche, zudem auch noch gesperrt gedruckt. Die Unabhängigkeit war ihm nicht ganz unwichtig. Er stand damit nicht allein. Den Wunsch zur Abwendung aller fremden Einwirkung auf die inneren Angelegenheiten Hamburgs[2] unterstrich auch die hochkarätig besetzte Reformkommission der Zwanziger von 1814. Das lag natürlich am Handel, aber in der Unabhängigkeit steckte mehr und Großes, eine europäische Mission der norddeutschen Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck, eigentlich sogar eine Weltmission. Dr. Bartels, der sich immer mehr zum Spezialisten für die Verfassung entwickelte, fand diese Mission auch schon im Grundgesetz der Republik verankert. Dieses Grundgesetz musste so lange bestehen, als das Schicksal die Fortdauer eines kleinen glücklichen Freistaats, der durch seinen Handel kräftig auf die Wohlfahrt der gesamten Menschheit einwirkt, gestattet.[3] So kommentierte er gleich auf den ersten Seiten seiner Publikation der Hamburger Verfassungsgesetze. Von einer nationalen und deutschen Aufgabe stand hier weiter nichts, auch nicht in den Sätzen davor und danach. Ihm ging es um die Wohlfahrt der gesamten Menschheit. So weit, so aufgeklärt.
Damit war allerdings noch nicht die Frage beantwortet, wie denn die Unabhängigkeit gesichert werden konnte. Dr. Abendroth, immer Realist, wies diskret darauf hin, dass die Republik von keiner europäischen Macht eine Politik erwarten durfte, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten war. Sie hatte sich bisher etwas zu wichtig genommen, seiner Meinung nach.[4] Das war möglicherweise richtig. Trotzdem, die lokale Unabhängigkeit musste irgendwie gesichert und gestützt werden. Daß wir für die Zukunft nicht, schrieb Abendroth, so hülf- und schutzlos, nantes in gurgite vasto bleiben können, sagt uns die Erfahrung auf das einleuchtendste und ist dies sicher die einstimmige Meinung aller aufgeklärten Hamburger, wenn gleich, der Theorie nach, der kleinste Staat neben dem größten ruhig müßte bestehen können. Es muß uns also etwas gegeben werden, was uns stützt, uns vertritt und unser Eigenthum erhält.[5] Aber was? Die Antwort fiel kurz und kategorisch aus: Es war das System des Gleichgewichts (das einzige welches die Ruhe Europas sichert).[6] Im System des Gleichgewichts steckte so etwas wie berechenbare Außenpolitik. Aufklärer schätzten das. Jede Großmacht wurde gewogen und durfte nicht viel schwerer sein als der Nachbar. Allzu starke Abweichungen nach oben oder unten störten das Gleichgewicht und waren also zu vermeiden. Trotzdem blieben zwei Probleme bestehen. Erstens war auch das System des Gleichgewichts keine sonderlich friedfertige Einrichtung, siehe die endlosen europäischen Kriege des 18. Jahrhunderts. Das zweite Problem bestand darin, dass die Krieger und Befreier von der Bürgergarde mit dieser mechanischen und gemütlosen Lösung keineswegs einverstanden sein würden.
Sie strebten ins deutsche Vaterland, konkret in den Deutschen Bund. Anfang August 1815 hatte der Senat den Beitritt Hamburgs auf die Tagesordnung der Bürgerschaft gesetzt. Faktisch kam etwas anderes auch nicht in Frage. Die deutsche Partei konnte eigentlich zufrieden sein, war es aber nicht, und zwar wegen der Begründung. Der Beitritt sei nötig, um die Unabhängigkeit der Republik zu sichern, so der kühl kalkulierende Senat. Empörung und Skandal bei den Nationalgesinnten, allen voran Ferdinand Beneke. Er und seine Freunde erwarteten Herzerhebung und nationale Weihe. Mit freudigem Danke gegen den Allerhöchsten treten sämtliche Mitglieder dieses Kirchspiels zu ihrem alten geliebten Vaterlande für Glück, und Unglück wieder zurück.[7] Diese Resolution formulierte Dr. Beneke. Die Katharinenkammer der Bürgerschaft nahm sie zwar an, aber den Bürgern war die Aufregung um nationale Weiheworte anscheinend ziemlich egal: Kaum vermogte ich mein Kirchspiel, den Dank gegen Gott in sein Votum aufzunehmen; keiner unterstützte mich, mehrere meinten, Gott gehöre in die Kirche, – ich setzte es dennoch also, und las es mit lauter Stimme, und erschüttertem Herzen vor.[8] Der Beitritt ging durch, aber unter welchen Umständen. Für die Bürger war es womöglich eine Erfahrung, die sie in Zukunft öfter machen würden. Da war dieser begeisterte Vaterlandsfreund, etwas exzentrisch, aber sonst harmlos, der viel Wert auf große Worte legte. Lassen wir ihm die Freude, sagten sich wohl die meisten. An der Sache änderte es nichts und die Versammlung wollte fertig werden. Der Antrag des Senats passierte genau in der vorgelegten Form.
Was aber war mit dem Beitritt zum Deutschen Bund gewonnen? Die Aufklärer hatten schon die Aktivitäten des alten Regensburger Reichstags misstrauisch beobachtet, von dem neuen Bundestag in Frankfurt erwarteten sie auch nicht viel mehr. Beneke führte die deutschen Verpflichtungen der Republik ins Feld, Abendroth fand das alles ziemlich weit hergeholt, die Aussichten eher ernüchternd. Von dem Bundestag erwarte ich äusserst wenig, schrieb er an Beneke im Frühjahr 1818 aus Ritzebüttel, ich möchte fast sagen gar nichts, und würde ich also auch aus dem Beytritt zur BundesAkte keine Ursache zu einer Veränderung erwarten, wenn sie sonst nicht nothwendig erscheint; der Bundestag wird nach seinem Zuschnitt ein förmlicher Reichstag … das Ganze ist eine kraftlose immobile Form.[9] Es war eine sachliche Feststellung, wie üblich in Ungeduld und Eile zu Papier gebracht, ohne großes Bedauern. Der Gouverneur von Cuxhaven nahm die Dinge, wie sie waren.
Bis zu einem gewissen Grade folgte ihm darin Senator Dr. Bartels, aber der hatte auch einen ausgeprägten Sinn für ein Deutschland der kleinen, freien Staaten, die zeigten, wie Bürgerrepubliken und Bürgerbeteiligung funktionieren konnten. Das Problem lag für ihn darin, dass die Abgeordneten des Bundestags keine freie Stimme hatten. Sie waren Gesandte der Mitgliedstaaten und votierten nach Weisung ihrer Regierungen: Was läßt sich von einer Versammlung so abhängiger Männer für das Ganze erwarten.[10] Nicht viel, und wenn überhaupt etwas, dann das Falsche. Er hatte den Eindruck, dass es den deutschen Großmächten darum ging, dem Despotismus den Sieg zu verschaffen.[11] Keine guten Aussichten für die Kleinen, schon gar nicht für die kleinen Republiken, das Vereinzeln der Deutschen Völker zieht den Untergang der Schwächern nach sich, und dahin arbeitet man.[12] Der Senator erhoffte sich ein Deutschland blühender, kleiner Staaten, freier Staaten dazu. Es sah damit schon 1817 nicht gut aus, der Bund befand sich auf dem besten Wege, sich zu einer Gefahr für die Freiheit zu entwickeln. Preußen und Österreich taten jedenfalls das ihrige.
Hamburgs Beziehungen zum Deutschen Bund waren also zugleich notwendiger und gefährlicher Natur. Hier entschied sich, ob die Republik ihre Unabhängigkeit verteidigen konnte. Kenntnisse über die Interna der Versammlung waren hilfreich. Ihr Vorsitzender und Präsidialgesandter war von 1815 bis 1823 Graf Johann Rudolf von Buol-Schauenstein. Bürgermeister Bartels hatte den Eindruck, als würde er dort am liebsten eine andere Politik betreiben als die, die ihm die Wiener Regierung vorschrieb. Buol habe ich immer für einen guthmüthigen aber unbesonnenen Mann gehalten … Aber seine Lage muß oft wahrhaft penibel seyn, wenn er die Ansicht seines Hofes gegen eigne Ueberzeugung und gegen die Meinung andrer Gesandten geltend machen soll. Indes glükt es fast immer, weil die minder mächtigen Staaten zu viel Condescendenz gegen Oesterreich zeigen … Dies liefert eine wenig erfreuliche Aussicht in die Zukunft.[13] Zu viel Unterwürfigkeit gegenüber Österreich, Sieg des Despotismus, man konnte nicht behaupten, Bürgermeister Bartels hätte die deutsche Entwicklung mit Optimismus verfolgt. Seine Befürchtungen hatten sich teilweise schon bestätigt, und besser wurde es auch nicht.
Im Juni 1820 billigte die Bundesversammlung in Frankfurt einstimmig die Wiener Schlussakte. Sie war ein reaktionäres Dokument, auch wenn Ferdinand Beneke das nicht wahrhaben wollte, die Nazionalität bricht durch dickes Gewolk, dann schrieb er auch noch in sein Tagebuch: ein gelungenes Meisterstück.[14] Es war nicht das erste Mal, dass er prophezeite und daneben lag. Die Schlussakte legte den Bund auf das vielbesprochene monarchische Prinzip fest, und die führenden Mächte genehmigten sich im Falle offenen Aufruhrs das Recht zu militärischer Intervention – für die liberale Hamburger Bürgerrepublik und ihren Bürgermeister Johann Heinrich Bartels die größte anzunehmende Katastrophe. Trotzdem stimmte sie zu. Es geschah wohl, weil sie das deutliche Gefühl hatte, dass eine offene Ablehnung nicht ganz ungefährlich sein würde. Um zu überleben, war zukünftig viel diplomatische Kunst und Verstellung nötig. Bartels mit seiner Verantwortung für das Große und Ganze versuchte neuerdings darin zu brillieren. So wie die deutschen Großmächte den Bundestag ihren Wünschen unterwerfen wollten, bemühte sich der Hamburger Bürgermeister, ihn für die Sicherung der Unabhängigkeit und Freiheit der Kleinen einzusetzen. Nur war dazu einiger Mut nötig, der im Zweifelsfalle fehlte. Preußen und Österreich saßen offenkundig am längeren Hebel. Bartels hatte 1822 vom Plan gehört, den Bundestag eine subordinirte Rolle spielen zu laßen, und überhaupt ihn nur in gewißen Zeiten im Jahr zu halten. Ist es würklich wahr, daß so etwas im Gange ist? Und wäre es nicht noch gerade Zeit, daß die kleinen Staaten Deutschlands sich endlich die Hand böten, um ein Gegengewicht zu bilden?[15] In offiziösen Quellen hieß es von den Gesandten der freien Städte, daß ihre Mehrzahl die Faust in der Tasche mache.[16] Das sollte wohl bedeuten, dass sie im Ernstfall vor dem Druck der Macht immer einknicken würden, etwa so wie der bayerische Vertreter Rechberg, den man mit einem rauhen Handschuh zittern machen kann.[17] So war es Dr. Bartels zu Ohren gekommen, und er geriet in leichte Beklemmung, auch wenn seine Magnifizenz der Bürgermeister gerade angedeutet hatte, man müsse Widerstand leisten. Aber es schien, als würde er selbst die Faust in der Tasche machen. Schriftsteller aus dem Umkreis des Jungen Deutschland kritisierten die Hamburger Leisetreterei und nahmen einen in Spiritus-Gläsern konservierten, harmlosen Republikanismus wahr.[18] Das aber war etwas ungerecht, die politische Lage des Gemeinwesens war prekär genug. Und der Bürgermeister war sich dessen akut bewusst.
Die Republik wollte unabhängig sein und je länger, desto deutlicher zeigte sich, dass der Bund bei diesem Unternehmen eine Gefahr war. Das Interventionsrecht der Wiener Schlussakte war kein toter Buchstabe. 1830 trat der Ernstfall ein. Im Kurfürstentum Hessen hatten gerade Verhandlungen begonnen, die zu einer der liberalsten Verfassungen Deutschlands führen sollten. Der Deutsche Bund war nicht begeistert und setzte sich in Bewegung. Abendroth war alarmiert und schrieb im Oktober 1830 an Caspar Hartung, seinen Freund und Nachfolger in Ritzebüttel: Sie werden wohl schon von dem tollen Project und Beschlus des Bundestages gehört haben, daß sie gegen den ausdrüklichen Willen des Kurfürsten von HessenCassel in dessen Gebieth einrüken wollen, um Ordnung herzustellen; die Herren Gesandten sind wahrscheinlich bange daß man ihnen etwas thut. Smidt aus Bremen befördert dies auf alle Weise was uns gar nicht angenehm ist – Wenn dies geschehen kann so findet sich leicht eine Veranlassung, man kann selbst Unruhen veranlassen, und sind dann alle kleinen Staaten verlohren – Wir leben in schlimmen Zeiten, Gott weiss wie dies noch alles enden will.[19] Aus Hamburg gab es dann Versuche, Smidt zur Raison zu bringen. Allgemein herrschte Fassungslosigkeit darüber, dass er die Intervention des Bundes unterstützte. Bürgermeister Bartels versuchte es mit persönlicher Ansprache. Ich zittre bei solchen Verfügungen, schrieb er nach Bremen, weil es mir scheint daß dadurch den größern Staaten, ein Ober-Aufsichts Recht über die Kleinern eingeräumt wird, wodurch diese leicht um ihre Selbständigkeit kommen können. Jeder Staat im Deutschen Bund muß zu keiner Zeit eine fremde Einmischung befürchten dürfen, und nur erst dann, wenn solche bedenkliche Umstände vorhanden sind, daß er ohne fremde Hülfe an seiner Rettung verzweifelt, muß auf seinen Antrag ihm von den Nachbarn Hülfe geleistet werden. Dazu bedarf es keines Bundestags Gesezes.[20] Die Bremer Kollegen spielten mit dem Feuer. Nicht nur sie, auch unmittelbare Nachbarn konnten verantwortungslos sein. Ein paar Jahre später 1836 übte sich das Königreich Hannover in dieser Disziplin. Die Stimme Hannovers am Bundestag hatte da mal eine Frage: Ob die Republik Hamburg wohl ihre Verfassung unter die Garantie des Bundes stellen würde? Wie kam die Stimme Hannovers dazu, diese Frage zu stellen? Keiner wusste es. Nach einem Moment der Schnappatmung im Ratssaal wurde Hamburgs Gesandter dahingehend instruiert zu erklären, daß solches unnöthig sey, da diese Verfassung schon vor länger als 100 Jahren unter kaiserlicher Autorität errichtet sey, mithin zu den längst gesetzmäßig bestehenden gehöre.[21] Es war wohl einer dieser Momente – Bürgermeister Bartels kannte sie – wo der Republikaner, die geballte Faust in der Tasche, gerne Klartext geredet hätte. Das aber empfahl sich bei diesem Bund nicht.
Unabhängigkeit hatte für die Republik noch eine besondere Bedeutung. Der Senat wollte kein Gericht über sich haben, unter keinen Umständen. Allerdings drohte die Bundesakte schon einmal mit einem gemeinsamen Gerichtshof für Hamburg, Frankfurt, Bremen und Lübeck. Aber wozu? Abendroth hielt schon vom alten Reichsgericht in Wetzlar nichts. Kaiser Joseph II. hatte es zwar nach dem notorischen Bestechungsskandal von 1771 reformiert, so dass das Personale … nur aus sehr achtungswerthen Personen bestand.[22] Das immerhin gab Hamburgs Senator zu. Viel mehr Gutes ließ sich über dieses Gericht aber nicht sagen. Die Zahl der Richter reichte nicht und Prozesse wurden von einer Generation an die nächste weitergereicht. Solche Gerichte sind eine Plage für den redlichen Bürger, nur der prozeßsüchtige Chicaneur gewinnt dabey.[23] Kollege Bartels hatte sich ja schon im sonnigen Süden vorgenommen, den Thron der Schikane zu stürzen.[24] Jetzt war es nötig, die Neuaufrichtung zu verhindern. Dies umso mehr, als die Republik nach Ansicht Abendroths in der reichsgerichtslosen Zeit zwischen 1806 und 1810 die besten Erfahrungen gemacht hatte: Von der Aufhebung der Reichsgerichte bis zur Vereinigung – mit Frankreich – hatten wir kein Gericht über den Senat, die Revisionsinstanz, die wohl nicht viele Lobredner finden wird, in einzelnen Fällen ausgenommen; niemand hatte Ursache, sich in dieser Zeit über die Justiz zu beschweren, im Gegenteil ging alles viel rascher.[25]
Allerdings gab es für Bundesgerichte auch in den Augen der Aufklärer eine Funktion von wesentlicher Bedeutung. Das alte Reich und der neue Bund waren föderale Gebilde, und die Kleinen in diesen Föderationen mussten irgendwie geschützt werden. Konnte es nicht sein, dass eine Bundesjustiz, eher zuständig für das Staatsrecht als für den zivilrechtlichen Kleinkram, die Rechte der Kleinen sicherte? In der besten aller Welten hielt selbst Abendroth es für möglich. Sollte es nicht so sein, dass, der Theorie nach, der kleinste Staat neben dem größten ruhig müßte bestehen können?[26] Bundesgerichte konnten dabei eine zentrale Rolle spielen, wenn sie fähig waren, ihre Urteile auch durchzusetzen – auch gegenüber mächtigen Mitgliedstaaten, zum Beispiel Preußen und Österreich. Wenn es möglich ist, den Reichsgerichten eine solche Gewalt zu geben, so der Hamburger Senator 1814, die zu den Wesentlichsten gehört … ; so sind sie … ein höchst ehrwürdiges Institut, sie sind der Schutz und die Stütze der schwächern Stände gegen die mächtigern, und das heiligste Band, welches die Stände an ihre Verfassung bindet; wissen sich hingegen die größern Stände factisch eine Exemtion zu verschaffen, und ist der Wirkungskreis der Reichsgerichte bloß auf Privat-Streitigkeiten einzelner Individuen beschränkt; so ist es wahrlich besser, solche Gerichte nicht zu haben.[27] Aber Preußen und Österreich dachten nicht daran, sich verklagen zu lassen, schon gar nicht in ihrer Qualität als Stände oder eben als Bundesstaaten eines föderalen Systems. Die Konsequenz für Abendroth war klar, so ist es wahrlich besser, solche Gerichte nicht zu haben.[28]
In Hamburg verstanden die aufgeklärten Reformer deshalb das gemeinsame Obergericht als Anmaßung des Bundes. Die Republik schätzte keine Bevormundung, vor allem – das kam atmosphärisch hinzu – keine wichtigtuerischen Richter, die meinten, sie seien etwas Besseres als Hamburger Senatoren und Bürgermeister. Das Gericht war also zu verhindern. Die Stadt wollte sich nicht durch fremde Rechtsinstanzen in die eigene Finanz- und Innenpolitik hineinreden lassen.[29] So auch die Anweisung an ihren Syndikus in Frankfurt schon zu Beginn der Verhandlungen.[30] Von 1815 bis 1827 nahm Johann Michael Gries diese Rolle wahr. Besonders effektiv war er wohl nicht, was selbst seinen Freund Beneke zu etwas humoristischen Charakterisierungen animierte: Gries ist jetzt alles, was der Zeitgeist … will, deutsch, hanseatisch, christlich, magnetisch, … soweit seine Natur nur immer mit kann. Besonders weit konnte sie aber nicht mit. Gries war verwöhnt, ein Jünger Lukulls,[31] er tafelte gern und gut, versagte aber als Geschäftsmann, was ihm führende Kreise ernsthaft übelnahmen. Er sei herzlich faul,[32] ließ Bürgermeister Bartels unter der Hand wissen. Die Sache war umso kritischer, als auf die anderen Städte kein Verlass war. Sie schienen sich aus verschiedenen Gründen mit dem Gericht anzufreunden. In Hamburg sorgte das für verhaltene Wutausbrüche.
Einige Elbsenatoren waren so aufgebracht, dass sie aggressive Briefe nach Bremen und Lübeck schickten, in denen sie ihrem Ärger freien Lauf ließen und kein Blatt vor den Mund nahmen. Es ging so weit, dass Bürgermeister Wilhelm Amsinck zu Mäßigung aufrufen musste.[33] Die Aufregung kam vielleicht daher, dass es gar nicht mehr um die Justiz, sondern um das Große und das Ganze, um die nationale Verpflichtung der Republik ging. Ferdinand Beneke, protokollführender Rechtsberater der Oberalten, meinte, es gehe um unser Bestehen bey, und mit Deutschland.[34] Immer wieder wies er dringend auf den bekannten, aber missachteten Artikel der Bundesakte hin, welchen Senatus schlechterdings zu umgehen sucht (sowie alles DeutschGemeinschaftliche, die Sicherheit ausgenommen, ihm zuwider ist).[35] Senatsmitglieder mussten gewärtig sein, von ihm mit Nachdruck bearbeitet zu werden. Auch Syndikus Gries in Frankfurt, der damit aber zwischen Baum und Borke saß. Der Senat instruierte ihn, das Gericht zu verhindern, aber Beneke machte ihm klar, dass dieser Senat in Deutschland und in der Öffentlichkeit der Republik auf verlorenem Posten stand. Verlaß Dich darauf, schrieb er im Juni 1817, als die Krise um das Gericht auf ihrem Höhepunkt stand, daß die öffentliche Meinung das Deutsch-Gemeinschaftliche nicht bloß zugiebt, sondern als das einzige solide Mittel gegen künftiges Unglück auch laut fordert, welches freilich Senat ‚leidigen Zeitgeist‘ nennt. Die bürgerlichen Kollegien würden sich mit allen Mitteln dafür einsetzen. Das Traurigste ist, daß durch diese antideutsche, höchst egoistische, mit einer seltsamen SouveränitätsAngst verbundenen Gesinnung des Senats dessen seit 1813. und 14. so sehr gesunkenes Ansehen (Liebe, Achtung, und Vertrauen) bey dem Publikum noch immer tiefer sinkt. Die wilden Attacken des Oberaltensekretärs hatten etwas Maßloses, Monomanes. Dann kam ein Schuss Antisemitismus dazu. Dem Senat warf er vor, er würde am liebsten darauf warten, bis dann die alte Zeit wiederkomme, wo Hamburg wegen seiner Bank, und seines Handels als AllerweltsJudenStadt wieder unter die Garantie aller Europäischen Mächte zurücktrete, und allein bestehen bliebe, wenn auch die übrigen Städte fielen.[36] Radikale, in den Ohren der meisten Senatoren zweifellos skandalöse Worte. Zum Glück kannten sie sie nicht. Beneke erinnerte Gries diskret an die Vertraulichkeit dieser brieflichen Konversation.[37]
Die Atmosphäre war trotzdem gereizt, auch in Bremen, nachdem man dort das Hamburger Schreiben erbrochen hatte. Die Wesersenatoren regten sich über die Hamburger Argumente auf und fanden sie fahdenscheinig.[38] Kurze Zeit später kam es in Bremen zu einem herben publizistischen Angriff auf die Aktenversendung, die Alternative, die die Hamburger favorisierten. Sie war zugegebenermaßen etwas verstaubt und altmodisch, aber besser, als sich einen juristischen Vormund heranzuzüchten, der die eigene Souveränität ruinierte. Unabhängigkeit war das Hauptmotiv der Hamburger Abwehrpolitik. Die Bremer Schrift hat hier einiges Misfallen erregt, schrieb Senator Bartels 1817 pikiert nach Bremen, da sie sichtlich unsre Weigerungs Gründe ein gemeinschaftliches Obergericht zu errichten und statt deßen die Actenversendungs Instanz einzuführen, etwas unsanft widerlegt. Glauben Sie denn würklich, daß ein gemeinschaftliches Obergericht der 4 Städte eine Wohlthat sey?[39] Die Hamburger Kollegen glaubten das sichtlich nicht. Es half nur nichts.
Die Regierung der Republik erlebte eine parlamentarische Katastrophe. Die Bürgerschaft forderte das gemeinsame Gericht ohne Wenn und Aber. Die Aktenversendung wurde krachend abgelehnt, in der Luft zerrissen: 6 Stimmen dafür – 211 dagegen. Dahinter steckte Dr. Beneke. In Teilen der Öffentlichkeit galt das Fiasko des Senats als sein Werk. Es kamen verschiedene Bekannte, und Bürger, die ‚zu dem gestrigen Siege‘ mir! Glückwünsche, oder Dank bringen.[40] Den aufgeklärten Herren des Senats fehlte für dieses Deutschheitsgewese sichtlich das Organ. Sie brachten doch vernünftige Argumente vor. Was wollten die Bürger eigentlich? Sich unzweckmäßig begeistern? Scheinbar. Hier erstand der Deutsch-hanseatisch-vaterländische Geist in Jugendkraft,[41] schrieb Johannes Michael Speckter, Hamburger Unternehmer und Lithograph, über die Szenen in dieser Bürgerschaft. Die Sache beschäftigt Köpfe und Gemüther, sie ist Gesellschaftsunterhaltung geworden, wird oft mit Leidenschaft und Bewegung, besonders von bekannten Rathsmitgliedern, erörtert, beleuchtet, erwogen und gewürdigt; die Nachtheile des Vier-Städte-Gerichts sollen unerhört furchtbar, die Schwierigkeiten seiner Organisation unübersteiglich und die Vortheile bey unserer so väterlichen Staatsverwaltung und vortrefflichen Rechtspflege unbedeutend seyn.[42]
Der Senat gab letzten Endes nach, aber nicht ohne einen letzten Versuch zu unternehmen, die Funktionsweise des uns durch den Schwindel aufgedrungenen Tribunals[43] – so Syndikus Doormann – durch ein paar prozedurale Tricks zu entschärfen. Am wichtigsten: Waren die beiden ersten Instanzen in Hamburg zum selben Schluss gekommen, war der Rechtsweg geschlossen, also keine Appellation an das gemeinsame Gericht mehr möglich. Das gelang.[44] Doormann, Benekes Louisquatorzegentilhomme,[45] weigerte sich nach wie vor standhaft, das Spitzenjabot gegen den deutschen Rock zu tauschen. Die Freunde der Nation mochten ihn nicht und verbreiteten genüsslich, als Mitglied des Corps législatif habe er sich 1814 durchaus nicht von seinem Posten entfernen und sich schlechterdings nicht davon überzeugen wollen, daß er kein Franzose mehr sei.[46]
Im November 1820 nahm das gemeinsame Gericht, das Oberappellationsgericht der vier Freien Städte in Lübeck, seine Arbeit auf. Als nächstes sorgte die Besetzung der Richterstellen für Streit. Hier erlaubte sich der Bremer Senat eine besondere Provokation. Er nominierte Martin Hieronymus Hudtwalcker. Der aber war schon Hamburger Senator, wenn auch wider Willen.[47] Der Elbsenat fühlte sich düpiert – zum einen weil er nicht gefragt worden war, zum anderen, weil es so aussah, als gäbe es noch etwas Besseres und Höheres als die Regierung der Hamburger Republik. Bürgermeister Bartels ließ keinen Zweifel, er und seine Kollegen würden es sich nicht gefallen lassen. Erst gab es ein paar lobende Worte über den in Versuchung Geführten. Von Talent und Charakter war die Rede, die der Hamburger Senat in Zukunft entbehren müsste. Dann kam Bartels auf den Punkt. Er formulierte es als persönliche Botschaft an Smidt in Bremen: … die Sache ist mir … unangenehm, da meiner Ueberzeugung nach die Auctorität der Senate in den Städten zu ihrem Nachtheil leidet, wenn man das Publicum darauf hinführt zu glauben, es existire noch etwas Höheres als die Senatswürde im Bereich der Städte, zu dem die Mitglieder des Senats aufrüken können. Ich glaube wir müßen darin sehr vorsichtig seyn solche Ideen nicht zu weken, vielmehr mus der Bürger die Erhebung in den Senat als die gröste Belohnung seiner Bürgerverdienste ansehen – wenn nicht eine höchst schädliche Gleichgültigkeit eintreten soll.[48] Fazit: Der Hamburger Senat verweigerte kategorisch die Entlassung Hudtwalckers aus dem Amt. Der Bürgermeister hatte auch vorher schon gewarnt. Hätte der hohe Bremer Senat, wenn auch keine officielle doch eine vertrauliche Vorfrage zu thun für gut gefunden: so würde die Unannehmlichkeit einer Fehlwahl vermieden worden seyn. Dem Ober Appellationsgerichts Präsidenten wird es hier aber sehr verdacht, daß er sich herausnimmt den Senaten ihre Mitglieder zu debauchiren.[49] Schärfer zu formulieren verbot die Höflichkeit. Dr. Bartels konnte im Übrigen durchaus Kandidaten empfehlen, wenn den Bremern sonst niemand einfiel: Ich hätte gewünscht daß bey Ihnen die Wahl auf Welcker zum OberAppellationsRathe gefallen wäre, von dem man mir so viel vorzügliches in Hinsicht seiner Kenntniße und seines practischen Scharfsinns sagt.[50] Sollte er damit Karl Theodor Welcker gemeint haben? Der hatte sich gerade als Professor der Rechtswissenschaften nicht weit entfernt in Kiel aufgehalten, die Kieler Blätter mitherausgegeben und sollte sich zu einem der Musterliberalen des Jahrhunderts entwickeln.
Wenn man es überflüssigerweise schon hatte, fielen dem praktischen Dr. Bartels auch noch andere Aufgaben für das Oberappellationsgericht ein. Sollte es wenigstens etwas Nützliches tun. Das hing mit den deutschen Universitäten zusammen. Nicht weil sie Demagogen und Burschenschaftler fabrizierten. Das waren vorübergehend desorientierte junge Menschen, kein Grund zur Sorge. Stärker fiel ins Gewicht, dass sie unqualifizierte Juristen und Mediziner auf die wehrlose Öffentlichkeit losließen. Die Alternative: Die Republik sollte das Examensgeschäft besser selbst übernehmen. Da konnte sie durchsetzen, was sie wollte, zertifizierte wissenschaftliche Kompetenz nämlich. Sie tat es schon bei den Medizinern: keine Approbation ohne Examen vor dem neuen Gesundheitsrat. Davon später mehr. Bartels schlug vor, es auch bei den Juristen so zu halten. Vielleicht könnte inskünftig, die Idee schickte er dem Kollegen Smidt in Bremen, der akademische Grad ganz wegfallen. Warum können wir nicht selbst denselben ertheilen? Ich werde suchen die Sache selbst hier fördersamst zum Antrage bringen zu laßen.[51] Dabei sollte das Oberappellationsgericht die zentrale Rolle spielen. Der Bürgermeister wollte es zu einer juristischen Fakultät zur Prüfung und Zulassung von Rechtsanwälten umgestalten. Bartels war sich der Widerstände bewusst, aber wenn wir auch damit nicht durchkommen – er meinte die juristische Fakultät –, so bin ich schon zufrieden, wenn wir nur in Betreff des Examens dahin kommen, wohin Sie schon längst gekommen sind. Daß das academische medizinische Examen auch nichts sagen wolle, davon haben wir darin einen Beweis, daß mehrere Hannoveraner und Hamburger, von den hiesigen Physicis und angestellten Examinatoren überprüft, abgewiesen worden sind.[52] Das war vernünftige Reform für ein gesünderes und professionelleres Gemeinwesen. So kam es. Das Gericht wurde für die Prüfung juristischer Kandidaten aus Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurt zuständig.
Wider Erwarten entwickelte es sich zu einem der renommiertesten Gerichtshöfe Deutschlands. Zur Beruhigung in Hamburg trug vielleicht auch bei, dass es nicht in innere Verfassungsfragen eingriff. Die Ansprüche der Bürger St. Georgs waren ein Beispiel. In Hamburg sahen sie für ihr Anliegen keine Chance mehr und so versuchten sie es mit einer Innovation. Sie erklärten das Oberappellationsgericht der vier freien Städte praktisch zu einem Verfassungsgericht und reichten dort Klage wegen ihrer Aussperrung aus der Bürgerschaft ein. Sie wurden umgehend abgewiesen.[53]
Dann tauchte eine neue Gefahr für die Republik auf. Die Wiener Ministerialkonferenz von 1834, ein neuer Höhepunkt der Reaktion, beschloss auf Betreiben Metternichs die Einrichtung eines Schiedsgerichts zur Entscheidung von Auseinandersetzungen zwischen Regierungen und Parlamenten in den Bundesstaaten. Das war deutlich noch eine Nummer gefährlicher als das Oberappellationsgericht, denn es griff direkt in die Souveränität von Senat und Bürgerschaft ein. Bürgermeister Johann Heinrich Bartels befand sich in höchster Alarmbereitschaft. In der Allgemeinen Zeitung war die Rede davon, dass er selbst sich auf die Reise machen wollte, um das Schlimmste zu verhindern: Dem Vernehmen nach wird unser sehr verdienter (auch der litterarischen Welt rühmlichst bekannter) Bürgermeister, Dr. Bartels, zu dem beabsichtigten Minister-Kongreß zu Wien abgehn. Daß ein Hamburger Bürgermeister sich zu einer solchen Versammlung begeben hätte, ist ohne Beispiel, und man folgert daraus, daß unser Senat eine ganz besondere Wichtigkeit auf unsre dortige Repräsentation legt.[54]
Das war gewiss so, ging es doch in Wien um Bevormundung der Kleinen und Liberalen und ganz zentral um die Einschränkung der Rechte der Volksvertretungen. Würde dieses Gericht auch die Rechte von Senat und Bürgerschaft gefährden? Es stand zu befürchten, Bartels musste es verhindern, also machte er sich ans Schreiben. Ist eine analoge Anwendung des neuen Bundes-Schiedsgerichts auf Hamburg, so lange dessen Verfassung besteht, gedenkbar?, fragte er. Das Nein war schon hörbar, aber zur Beseitigung aller Unklarheiten sprach er es denn auch aus: Wir beantworten die Frage gleich von vorn herein mit NEIN; denn Hamburg besitzt in seiner Verfassung ein Schiedsgericht, das auf die Fälle, von denen hier nur die Rede seyn kann, anwendbar ist, und das eben deshalb auch mit eingesetzt seyn mag, damit es uns fremde Spruchmänner … von der Hand halten sollte, indem sie, nach früher gemachten Erfahrungen, die Aufregung im Innern immer vermehrten.[55] Aus naheliegenden Gründen allerdings war es für das Staatsoberhaupt der Republik unpassend, den Bund direkt anzugreifen. Es gab einleuchtende Ausweichargumente: Die Republik brauchte kein Schiedsgericht, sie hatte schon eines, das den Bundeswünschen entsprach.
Das hatte sich Bartels einfallen lassen, auf diese Weise konnte er sich die Konfrontation ersparen. Das Hamburger Schiedsgericht war die große Entscheidungsdeputation, die Rat und Bürger einsetzten, wenn sie sich gar nicht mehr einigen konnten. An und für sich war das natürlich eine kritische Situation. 1829 war sie eingetreten, das Handelskapital verlangte radikale Zollsenkungen, der Senat fürchtete um den Haushalt und war dagegen. Der Zollstreit führte zur größten Krise der Republik in Friedenszeiten – gefährlich wie ein Kaiserschnitt,[56] schrieb Amandus Augustus Abendroth. Aber immerhin, Entscheider waren Bürger und Senatoren, die sich mit der Sache auskannten.
Bartels war ein gewiefter Debattierer, er wollte dem Bund diese Hamburger Speziallösung nahebringen und seine Republik vor Interventionen schützen. Deshalb machte er die Herren in Wien und Frankfurt darauf aufmerksam, daß die von den Bürgern verlangte … MEHRHEIT IN DER ZAHL IHRER MITGLIEDER … ERNST ZURÜCKGEWIESEN WARD.[57] Wunderbar, das war doch der Vorzugswunsch der reaktionären Minister in Wien. Aber dann schwieg sich der Bürgermeister doch lieber darüber aus, dass genau diese Bürger sich vor noch nicht allzu langer Zeit in dieser Entscheidungsdeputation im Zollkonflikt vollständig durchgesetzt hatten. Die Wiener Diplomaten mussten das nicht unbedingt wissen.
Seine Magnifizenz erlaubte sich dann noch einen Seitenhieb der besonderen Art. Vor geheimer Inquisition warnte sie an selbiger Stelle. Ob sich das jetzt auf das Bundesschiedsgericht oder auf die Hamburger Entscheidungsdeputation bezog, ließ der Bürgermeister möglicherweise bewusst in der Schwebe. Das Schiedsgericht auch nur andeutungsweise in die Nähe einer geheimen Inquisition zu rücken, war schon etwas Besonderes. Zu wünschen bleibe, schrieb er, dass die ängstliche Geheimnißkrämerei zu entfernen ist, da Öffentlichkeit die beste Gewähr dafür leisten muß, daß die Schiedsrichter, das öffentliche Beste allein ins Auge fassend, ihre Pflicht streng erfüllt haben.[58] War das eine Forderung an den Bund nach mehr Öffentlichkeit? Auf jeden Fall war diese Möglichkeit mitzudenken, was der Autor aber jederzeit abzustreiten im Stande war. Als Mitglied der Zensurkommission kannte Dr. Bartels diesen Trick mit Sicherheit. Ein Publizist wie Christian Friedrich Wurm konnte es sich da leisten, offener zu sein. Es wäre Verrat an der Verfassung, schrieb er 1839, den Senat mit dem Staatsoberhaupte, die Bürgerschaft mit Landständen, im Sinne des ‚monarchischen Prinzips‘, auf gleiche Linie stellen zu wollen. Aber auch die ‚analoge Anwendung‘ … des Schiedsgerichts auf die inneren Verhältnisse der freien Städte wird in Hamburg, so lange die Verfassung besteht, nicht Statt finden können.[59] Zum Glück, denn schon die analoge Anwendung öffnete dem reaktionären Bund Tür und Tor. Es scheint, dass sich der angeblich so konservative Bürgermeister und der führende liberale Publizist der Republik in diesem Punkt sehr nahe standen.
Schon die deutschen Verhältnisse waren aus Hamburger Sicht nicht durchweg erfreulich. Noch weniger erbaulich gestaltete sich der Blick auf die europäische Lage.
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] Abendroth: Wünsche, S. 5.
[2] Voigt: Protokolle, S. XIII.
[3] Bartels: Abdruck, S. 4f.
[4] Abendroth: Wünsche, S. 15.
[5] Abendroth: Wünsche, S. 15. Abendroth zitiert aus der Aeneis von Vergil: … schwimmend im gewaltigen Strudel. Das Bild passte gut zur seetüchtigen, aber gefährdeten Republik.
[6] Abendroth: Wünsche, S. 15.
[7] Beneke: Tagebücher, 3.8.1815.
[8] Beneke: Tagebücher, 3.8.1815.
[9] StAHH, Familie Beneke Ferdinand Beneke C 11, Abendroth an Beneke, 17.7.1818.
[10] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Gröning, 17.8.1817.
[11] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Gröning, 17.8.1817.
[12] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Gröning, 17.8.1817.
[13] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 5.10.1821.
[14] Beneke: Tagebücher, 1.5.1820.
[15] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 8.12.1822.
[16] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 8.12.1822.
[17] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 8.12.1822.
[18] Beurmann: Skizzen, S. 7.
[19] StACux, Amtsarchiv Ritzebüttel I Fach 13 Vol B Fasc 2 Dok 107, Abendroth an Hartung, 25.10.1830.
[20] StAB, Nachlass Smidt, 7 20 VIII C d 1, Bartels an Smidt, 5.10.1830.
[21] StAB, Familie Beneke Ferdinand Beneke C 13, Politischer Jahresrückblick 1836, S. 37.
[22] Abendroth: Wünsche, S. 33.
[23] Abendroth: Wünsche, S. 33.
[24] Bartels: Briefe, Bd. 1, S. 56.
[25] Abendroth: Wünsche, S. 33.
[26] Abendroth: Wünsche, S. 15.
[27] Abendroth: Wünsche, S. 34.
[28] Abendroth: Wünsche, S. 34.
[29] Dreyer: Hamburg, S. 138.
[30] Dreyer: Hamburg, S. 58.
[31] Beneke: Tagebücher, 18.11.1817.
[32] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 26.3.1823.
[33] Erklärung Bürgermeister Amsincks, 2.12.1816, zitiert nach Dreyer: Hamburg, S. 139.
[34] Beneke: Tagebücher, 18.3.1818.
[35] Beneke: Tagebücher, 11.6.1817.
[36] StAHH, Familie Beneke Ferdinand Beneke C 41, Beneke an Gries, 29.6.1817.
[37] StAHH, Familie Beneke Ferdinand Beneke C 41, Beneke an Gries, 5.8.1817.
[38] Antwort des Bremer Senats auf das Rundschreiben, 20.12.1816, zitiert nach Dreyer: Hamburg, S. 141.
[39] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Gröning, 12.7.1817.
[40] Beneke: Tagebücher, 18.7.1817.
[41] Johannes Michael Speckter an Johann Martin Lappenberg, 27.7.1817, zit. nach Möller: Briefe Speckters, S. 99.
[42] Johannes Michael Speckter an Johann Martin Lappenberg, 27.7.1817, zit. nach Möller: Briefe Speckters, S. 99.
[43] Stellungnahme Doormanns, 3.1.1817, zitiert nach Dreyer: Hamburg, S. 144.
[44] Wurm: Verfassungs-Skizzen, S. 95; Gallois: Geschichte, Bd. 3, S. 76f.
[45] Beneke: Tagebücher, 20.4.1818.
[46] Diederich Gries an seinen Bruder Karl, 22.7.1814, zitiert nach Reincke: Briefwechsel, S. 269. Doormann zahlte in gleicher Münze zurück und Beneke beschrieb seine Reaktion so: Curtius, Du, Smidt, ich, wir gelten ihm alle als ‚politische Schwärmer‘, die es zwar sehr ‚nobel‘ meinen, aber das ‚politische Fahrwasser‘ nicht kennen. StAHH, Familie Beneke Ferdinand Beneke C 41, Beneke an Johann Michael Gries, 3.4.1818. Curtius war der Lübecker Syndikus, ‚Du‘ Johann Michael Gries, ‚ich‘ Ferdinand Beneke.
[47] Beneke: Tagebücher, 29.3.1820.
[48] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 26.10.1821.
[49] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 10.10.1821.
[50] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 4.1.1822.
[51] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 4.10.1825.
[52] StAB, 2 B 5 a 7 Vol 2, Bartels an Smidt, 19.10.1825.
[53] StAHH, Senat Cl VII Lit Bc No 3 Vol 7a Dok 54, Heise an den Senat, 16.7.1832.
[54] Allgemeine Zeitung, 27.11.1833.
[55] Bartels: Anwendung, S. 6f.
[56] StACux, Amtsarchiv Ritzebüttel I Fach 13 Vol B Fasc 2 Dok 89, Abendroth an Hartung, 27.10.1829.
[57] Bartels: Anwendung, S. 12f.
[58] Bartels: Anwendung, S. 13.
[59] Wurm: Verfassungs-Skizzen, S. 90f.


