39. Fusion der Zivilisationen
Generäle in Gips, Illuminationen, Lotterien – und als Hauptgewinn ein Schinken
Seitdem die Truppen des Pariser Imperators in der Republik stationiert waren, nahm das öffentliche Leben in Hamburg eine andere Farbe an: Die Feste der Weltmonarchie hielten ihren Einzug.
Dies ist Teil 39 der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung ihrer Republik 1790–1835, which you can also read in English. Die Einleitung beschreibt, worum es geht, und wer einen Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel haben möchte, klickt bitte hier.
Symbolische Politik war im Prinzip nichts Neues. Die hatte es auch schon zuvor gegeben. Politische Ausdruckskunst war beliebt unter progressiven Republikanern. Ferdinand Beneke und seine Freunde holten die Büsten siegreicher französischer Generale in ihre Wohnungen.[1] In Wien orderte er einen Porträtkopf Napoleons und stellte ihn im Salon neben Georg Heinrich Sieveking, seinen alten Wohltäter, dazwischen sang ein Dompfaff.[2] Wer es billiger brauchte, konnte zu Schulze am Neuen Wall gehen, einer sehr sauber arbeitenden hamburgischen Fabrik,[3] und dort Pappmaschee-Büsten der politischen Prominenz in Auftrag geben.
Gedenkkultur allerdings konnte schnell zu Konfrontationen führen. Das passierte ausgerechnet bei einer der Vaterfiguren der Hamburger Aufklärung, Johann Georg Büsch, Mathematiker, Ökonom und Mitgründer der Patriotischen Gesellschaft, der im August 1800 gestorben war. Die Gesellschaft schlug ein Denkmal vor, konservative Senatoren aber machten Schwierigkeiten. In diesen Kreisen hatte die Idee heftige Widersacher an einigen Aristokraten gefunden. Qui pereant! Syndikus Gries, Dr. Meyer, und Senator Günther standen an der Spitze der Monument-Setzer.[4] Dr. Meyer hatte die Idee und mobilisierte die Patriotische Gesellschaft. Mit ihm spazierte Beneke eines Tages um die Alster, um einen Ort für das Denkmal auszusuchen.[5] Im Juli 1802 wurde es eingeweiht, mit weitem Blick über Jungfernstieg, Alster und St. Georg.[6] Es kostete über 12.000 Mark, was nicht ganz billig war.[7] Heute steht es an der Ecke Edmund-Siemers-Allee und Rothenbaumchaussee vor der Universität.
Ein paar Jahre später trat an die Stelle der heimischen Helden der Weltimperator. Auf dem Festkalender ganz oben stand das Napoleons-Fest am 15. August, dem Geburtstag des Kaisers. Zuerst wurde es 1807 gefeiert. Der französische Gesandte gab ein Fest im Apollosaal an der Drehbahn.[8] Getafelt wurde im französischen Schauspielhaus. Im folgenden Jahr ging es deutlich aufwendiger zu – mit republikanischer Sparsamkeit hatten die neuen Sitten nichts mehr zu tun. Senator Bartels war es viel zu teuer: Die große fete kostet uns enorme Summen. Das Holz das wir zum Bau eines großen Saals und zum Gerüste für Feuerwerke liefern müßen, kostet allein über 30.000 Mark.[9]
Gattin Marietta hingegen freute sich über den bevorstehenden Ball und machte sich Gedanken über die Garderobe. Ihr Johann Heinrich führte sich als häuslicher Spielverderber auf, an Mode war er männlich desinteressiert. Der verhaltene Ärger aber hatte möglicherweise andere Ursachen. Der Zeremonienmeister hatte mangelhafte Arbeit geleistet. Erst in letzter Sekunde erfuhren die Würdenträger der Republik, was von ihnen erwartet wurde – und vieles blieb im Unklaren. Ich erfahre, schrieb Bartels nach Bremen an Senator Smidt, daß man uns morgen um 12 Uhr in der Katholischen Kirche in Altona erwartet. Ich denke daher, daß es gerathen seyn wird uns ohne weiteres um 11 ½ dahin zu begeben. In Procession dahin zu fahren scheint nicht gerathen, da so viel bekannt ist, auch die französischen Behörden einzeln kommen. Da der Prinz – Marschall Bernadotte, Prinz von Pontecorvo – nicht hier ist, so ist keiner da, der die Besuche annimmt. Indes werden Herr Senator Schulte und ich, wenn wir aus der Kirche kommen, beym General Dupas und Bourrienne VisitenKarten abgeben.[10]
Das Fest nahm also seinen Lauf. Die Zeitungen bezeugten Freudenkundgebungen der Bevölkerung, entgegengesetzte Meldungen wären ihnen nicht gut bekommen. Aber auf den Straßen herrschte dichtes Gedränge. Bürger und Volk veranstalteten große Illumination und stellten Lichter in die Fenster – die französischen Behörden hatten gar nicht dazu aufgefordert.[11] Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, dachten sich offensichtlich viele Hamburger und liefen staunend durch die nächtlich hellen Straßen. Sie waren anfällig für imperiales Spektakel oder sie genossen einfach gute Unterhaltung, die auch nicht jeden Tag zu haben war.
Einer aber saß verkniffen an seinem Schreibtisch, Dr. Beneke, der Sachwalter der nationalen Berufung Hamburgs. Er war maßlos enttäuscht: Als hamburgische Republik ist sie heute untergegangen, nur als teutsche Stadt kann sie künftig wieder einen Werth bekommen. … Nur noch diese eine Bemerkung. Nicht dem Senat, nicht der Majorität der Bürger, nein dem ganzen Volke, und dem herrschenden Geiste gilt diese Anklage. Der Senat gab nur der Nothwendigkeit nach, aber das ganze Volk erniedrigte sich heute auf das Ehrvergessenste, und es sind nicht zehn PrivatLeute, die ihren Gott im Herzen nicht verleugnet haben. Niedrige Schmeicheley hat Hunderte, feige Furcht Tausende, und nachahmende Schwäche, Eitelkeit, und Charakterlosigkeit abermals Tausende hingerissen, und niedergeworfen in den Staub.[12] Beneke zelebrierte hohes Drama und nationale Endzeit. Das Volk hingegen amüsierte sich bei Lotterien auf dem Großneumarkt und dem Pferdemarkt, wo man Bratwürste, Schweinebraten und als Hauptgewinn einen geräucherten Schinken mit nach Hause nehmen konnte.[13]
Die Geburt des Königs von Rom war eine weitere Gelegenheit zu festlicher Bewegung. Napoleon und Louise hatten einen Sohn bekommen, den langerwarteten Thronfolger, und Hamburg feierte am 31. März 1811 mit einer Prozession der alten und neuen Elite und großem Musikprogramm. In der kleinen katholischen Michaeliskirche dirigierte Andreas Romberg, in der großen evangelischen Gottlieb Schwenke.[14] Für die Taufe gab es am 9. Juni 1811, einem Sonntag, noch einmal große Illumination. Der Schweinemarkt glänzte am brillantesten, berichtete Beneke in etwas absprechendem Ton, er liebte diese Feierlichkeiten ja nicht und freute sich über das eine oder andere organisatorische Missgeschick. Bei seinem Schwiegervater von Axen am Jungfernstieg gab es Aufregung. Eine Friedenstaube sollte sinnreich das Feuerwerk entzünden und der Prinz von Pontecorvo die Veranstaltung mit seiner Gegenwart beehren. Der Prinz aber ist ausgeblieben, und die Taube ist straks auf die Gasse gefallen.[15] Das gönnte er dem Regime und auch seinem Schwiegervater. Napoleons-Feste und königliche Taufen waren für ihn regelmäßig ein Grund zu schlechter Laune, besonders wenn er die feiernden Bewohner der Stadt beobachtete. Alles undeutsch. Er kramte seinen wachsenden Antijudaismus hervor, wenn er an solchen Tagen durch das festliche Gedränge ging. Viele Kutschen mit geschminkten Damen, und Herren en grand costume, – Richter, und Rechtsgelehrte in ihrer undeutschen, Rabbiner Kleidung, – lustfahrende Douaniers, – demüthige Handelsleute zu Fuß, – und bettelnde Arbeitsleute, – Klockengeläute, Kirchenfeyer, und Kanonen Donner.[16] Er musste schnell nach Hause, um sich zu beruhigen. Aber – auch bei ihm hatte einmal Napoleon neben dem Vogelkäfig im Salon gestanden.
Frau Johanna Abendroth hingegen erlebte die Réunion als ein rauschendes Fest: Die Bälle waren prachtvoll, die schönen Generalsfrauen, die prachtvollen Generals-Uniformen. Ich habe mich sehr gut amüsirt, obgleich meine und Bettys Toilette mir manche Sorge gemacht haben.[17] Das war erfrischend und authentisch. Die französischen Autoritäten imaginierten, wenn sie klug waren, eine Fusion der Zivilisationen im großen Fest. Opérer la fusion war das Zauberwort. Stolz berichteten sie nach Paris, wenn es ihnen gelungen war. Am besten konnte das der Präfekt der benachbarten Wesermündung. Der große Ball, meinte er, sei doch der beste Weg, pour opérer la fusion et faire disparaître peu à peu la séparation que la différence de moeurs et d’habitudes maintient encore dans ces contrées entre les anciens et nouveaux Français.[18] Das Angebot der Union im Fest richtete sich auch an die Mittelklasse. Bei anderer Gelegenheit hatte er sich bemüht, pour rallier et rattacher au gouvernement la classe intermédiaire des habitans.[19] Und es richtete sich an die kleinen Leute, die sich mit Würsten und Schinken von der Lotterie den Bauch vollschlagen konnten.
Es gab eben auch die lebensfrohe Perspektive auf Frankreich und die Franzosen. Viel privater, viel intimer. Man lebte eng zusammen, war neugierig, freundete sich an, es konnte ganz unterhaltsam sein. Hinterher, als alle nur noch an Blücher dachten und Heil dir im Siegerkranz sangen, wurde das vergessen. Aber nicht von allen. Theodor Fontane war in Swinemünde aufgefallen, wie falsch und wie einseitig diese Vergesslichkeit war. Ein jeder wird glauben müssen, ‚es sei alles so ernst und düster und fanatisch gewesen‘, ich selbst würd’ es glauben, wenn ich ein Fremder wäre; meine Eltern aber und die gesammten Swinemünder Honoratioren … haben mir immer nur erzählt, wie kreuz fidèl man damals gewesen sei, alles entente cordiale mit den lieben, kleinen Franzosen, alles verliebt und alles lüderlich.[20]
Die lebenslustige Johanna Abendroth, die mit ihrer Tochter so gern auf glänzende Bälle ging, beobachtete in Ritzebüttel ganz ähnliche Aktivitäten. Gerade war die Familie mit Kind und Kegel angekommen, hatte sich eingelebt und neue Freunde gefunden. Natürlich gehörten auch Franzosen zum geselligen Kreis, Monsieur Vinson zum Beispiel. Er verwickelte sich in erotische Abenteuer. Fräulein Schulz verliebte sich zuerst in ihn und dann in einen Engländer, ausgerechnet Lord Stewart, den Kommandanten der englischen Kriegsschiffe vor Cuxhaven – was etwas unklug war.
Eines Morgens, so erinnerte sich Johanna Abendroth, hören wir blasen … es war … Vinson, der seine Braut besuchen wollte. Der Zeitpunkt war nicht gut gewählt. Da war gerade der Lord bei ihr. … Die Mutter stand mit dem Hute des Lords vor der Thüre. Dort stand sie wohl, um den strategischen Rückzug seiner Lordschaft zu decken. Er war aus dem Fenster gesprungen und so nach dem Hafen gelaufen. Dem entehrten englischen Lord-Liebhaber gelang es anschließend, den Franzosen festzunehmen. Dann kam es auch noch zu einer Begegnung. Wie wir in der langen Strasse sind, kommt der Zug vom Lord uns entgegen mit unserem Freunde, dem gefangenen Franzosen. Wir mussten stille halten, er gab meinem Mann die Hand, und in vollem Jubel fuhren sie nach dem Hafen.[21]
Es klingt so, als hätten Monsieur und Madame Abendroth nur ungern stille gehalten – und als seien die Engländer die eigentlichen Störenfriede in dieser entente cordiale gewesen.
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] Beneke: Tagebücher, 2.1.1799.
[2] Beneke: Tagebücher, 24.4.1799, 23.5.1799.
[3] Böttiger: Zustände, 1838, Bd. 2, S. 24.
[4] Beneke: Tagebücher, 9.2.1801.
[5] Beneke: Tagebücher, 28.2.1801.
[6] Heß: Hamburg, Teil 1, S. 68–70; vgl. auch Architekt, S. 18, Abbildung 23.
[7] Verhandlungen und Schriften, Bd. 7 (1807), S. 461.
[8] Reincke: Briefwechsel, S. 248.
[9] StAB, 2 B 5 a 6 No 11, Bartels an Smidt, 2.8.1808.
[10] StAB, 2 B 5 a 6No 11, Bartels an Smidt, 14.8.1808.
[11] Reincke: Briefwechsel, S. 253.
[12] Beneke: Tagebücher, 15.8.1808.
[13] Mönckeberg: Hamburg, S. 33.
[14] Reincke: Briefwechsel, S. 258.
[15] Beneke: Tagebücher, 10.6.1811.
[16] Beneke: Tagebücher, 15.8.1812.
[17] Abendroth’sche Lebenserinnerungen, S. 5.
[18] Zitiert nach Vidalenc: Départements, S. 422. … um die Fusion herbeizuführen und nach und nach die Trennung verschwinden zu lassen, die der Unterschied der Sitten und Gewohnheiten noch in unseren Gegenden zwischen alten und neuen Franzosen aufrechterhält.
[19] Zitiert nach Vidalenc: Départements, S. 422. … um die mittlere Klasse der Bewohner zu gewinnen und sie an die Regierung zu binden.
[20] Zitiert nach D’Aprile: Fontane, S. 319.
[21] Abendroth’sche Lebenserinnerungen, S. 4.


