29. Freiheit, Gleichheit, Eigentum
Von Luxus und Bürgertugend
Was war der höhere Sinn der Republik? Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, so lautete die radikale Antwort aus Frankreich. Die Hamburger Republikaner ersetzten die Brüderlichkeit durch Eigentum, wussten aber auch, dass Luxus und Millionen bei den Privilegierten kein Zeichen gesellschaftlicher Gesundheit waren.
Dies ist Teil 29 der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung ihrer Republik 1790–1835, which you can also read in English. Die Einleitung beschreibt, worum es geht, und wer einen Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel haben möchte, klickt bitte hier.
Die Republik garantierte und förderte das Eigentum. Das konnte gar nicht oft genug gesagt werden, denn Eigentum befreite, Eigentum aktivierte, Eigentum machte den Menschen eigentlich erst zu dem, was er sein sollte. Es gab ihm gleichsam einen elektrischen Stoß …, durch den er aus seiner Indolenz hervorgerüttelt und zum aktiven Leben angefeueret werde. Und in der Tat dieß ist der einzige, sichere Weg, um die Nation zu erheben, deren tife Nidrigkeit allein in dem trauerigen Gefüle ihren Ursprung hat, daß sie nichts ist, nichts werden kann![1] Das hatte Johann Heinrich Bartels aus Italien geschrieben und meinte damit, dass die vom Feudaladel gegängelten Bauern freies und uneingeschränktes Eigentum brauchten, um ihre volle Produktivkraft zu erreichen, und das konnte unter den gegebenen Umständen nur durch eine durchgreifende Landreform erreicht werden.
Eigentum musste also politisch gestaltet werden. Auf dem Lande war der Sturz des Adelsregimes nötig. Auf Sizilien hatte es Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Schritte dazu gegeben. Der Erfolg war durchwachsen. Es stellte sich schnell heraus, dass die neuen Eigentümer Kapital brauchten. Die Lösung des Problems lag für Bartels auf der Hand, es war eine staatliche Hypothekenbank, die den Landwirten Kredite zu niedrigen Zinsen anbot, so müssete auch hier, analysierte er für seine deutschen Leser, die Regirung ins Mittel treten, und mit dem philosophischen Scharfsinne eines Arztes eine Kur einschlagen, die einzig seine Krankheit zu heilen vermag. Sie müssete nemlich ein Leihaus zur Beförderung des Akerbaues anlegen, das der Italiäner monte aggrario nennet; dort müssete er das, ihm zum ersten Anfange so nötige, Geld, gegen geringe Interesse, holen können, doch ohne in den ersten Jaren an die Wiederbezahlung des Kapitales denken zu dürfen.[2] Ein gemeinnütziges Kreditsystem war nötig, um die volle Produktivität des Eigentums zu entfalten. Zusammen bildeten Eigentum und Kredit den Motor für den Wohlstand des Landes. Es klang ziemlich modern.
In Hamburg stand der zukünftige Senator mit diesen Ansichten nicht allein. Jonas Ludwig von Heß, der Topograf, referierte in der Patriotischen Gesellschaft über die Verheißungen des Eigentums unter besonderer Berücksichtigung der Nutzanwendung für die Republik, so als würde das Gemeinwesen hier seinen eigentlichen Daseinsgrund und seine Lebensbasis finden: Die mit einer freien Selbstständigkeit verbundene Sicherheit des Eigenthums erschaft bei ihren Theilnehmern zugleich eine Wärme, eine rastlose, unermüdete, freudige Thätigkeit, die den Unterthan, der nicht sicher ist, ob er für sich oder seinen Souverain arbeitet, nie beseelt. … Denn Sicherheit, unbezweifelte Sicherheit des Eigenthums kann nur da Statt finden, wo jeder Eigenthümer Theil an der Gesetzgebung hat, wo alle sich auf das Eigenthum und dessen Sicherheit beziehenden Anordnungen und Gesetze von Niemand, als den Eigenthümern selbst, herkommen und abgefaßt werden.[3] Hier berührten sich Eigentum, Freiheit und republikanische Verfassung. Unangefochten war der Glaubenssatz, dass die parlamentarisch und gesetzlich abgesicherte Freiheit der Eigentümer die wirtschaftliche Initiative förderte. Die Republik war ihr eigenes Konjunkturprogramm. Bei näherem Hinsehen förderte Eigentum aber auch Ungleichheit und die konnte zu einem Problem werden, zu einem Problem innerhalb der besitzenden Klassen wohlgemerkt.
Damit beschäftigte sich Johann Arnold Günther, der den Staat für den besten hielt, der lauter arbeitsame, viele wohlhabende, aber wenig reiche Bürger hat.[4] Eine gewisse Skepsis gegenüber dem exzessiven Reichtum war herauszuhören. Zu diesen Reichen gehörten in Hamburg Bezieher eines Jahreseinkommens von 25.000 Mark und mehr.[5] Karl Hübbe, Freund und Protégé von Senator Bartels, nannte diese Zahl einmal in der Patriotischen Gesellschaft, fast im Vorübergehen, spontan und ohne nachzudenken, deshalb vielleicht besonders instruktiv. Die Zahl wusste man einfach. Genau genommen sprach er von Haushalten, die diese Summe verzehrten, was selbst schon einen Perspektivwechsel vom harten Erwerb zum luxuriösen Leben andeutete.
Den Aufwand für eine mittelmässige Haushaltung hingegen veranschlagte Dr. Meyer von der Patriotischen Gesellschaft gegen 1800 auf gut 10.000 Mark.[6] Aber was sollte das bedeuten? Mittelmäßig war ein durch und durch euphemistischer Begriff, selbst schon ein Signal dafür, dass Aufklärer am großen Reichtum Anstoß nehmen konnten. Gemeint war der Aufwand wohlhabender Senatoren und Juristen, die es offenbar gern hörten, wenn man sie einer – wenn auch sehr gehobenen – Mittelklasse zurechnete. 10.000 Mark garantierte Claes Bartels seinem Sohn Johann Heinrich für den Fall, dass dessen juristische Praxis nicht recht in Gang kommen sollte, und 10.000 Mark verdiente auch Rechtsanwalt Beneke, nachdem er einigermaßen Boden unter den Füßen gefunden hatte.
Oberhalb dieser vermeintlich mittelmäßigen Haushalte gab es also einen Reichtum, der das Maß überstieg, der irgendwie unanständig war, zumal wenn er mit einer gewissen Vernachlässigung der bürgerlichen Pflichten einherging. Es zeigte sich eine Unverträglichkeit von Luxus und Bürgertugend, die Georg Heinrich Sieveking, kurzzeitig Hamburgs Botschafter im revolutionären Paris, mit nicht geringer Sorge wahrnahm, obwohl es ihm selbst gewiss nicht an Geld, aber eben auch nicht an Bürgertugend fehlte.[7] In der Republik hatte sich in den Zeiten der Konjunktur eine bürgerliche Aristokratie des großen Geldes, des Luxus und der Moden, gebildet und sie sorgte unter den Bürgern, die nicht so weich gebettet waren, für Ärger und Ressentiments. Wichtiger noch, dieser Ärger fand Widerhall bei den aufgeklärten Verbesserern, bei den Politikern, die sich patriotisch für die Republik engagierten und beobachten mussten, wie sich die Millionäre diskret aus der Verantwortung verabschiedeten.
An der Elbe wuchsen kleine Schlösser empor, Diamanten galten für den großen Auftritt der Dame als unverzichtbar, die Firmenchefs eilten geschäftig vom Kontor zur Börse und wieder zurück, hatten aber keine Zeit und kein Geld mehr für die Armenanstalt. Die Kritiker der Woge von Geld und Genuss vermuteten sogar, dass einige Herren nicht einmal ihre Steuern zahlten, was zugegebenermaßen in diesem liberalen Gemeinwesen nicht schwer, aber trotzdem unverzeihlich war. Sieveking verlangte mehr Transparenz und als Strafe das Zehnfache des hinterzogenen Betrages.[8] Der Senator und Heringshändler[9] Johann Michael Hudtwalcker, selbst eher frugal gestimmt,[10] vermutete Anfang der 1790er-Jahre, dass vielleicht 50 Familien zu diesem mondänen Zirkel des großen Geldes und der angespannten Spekulation zählten.
Die Kritik an den Superreichen war in der Patriotischen Gesellschaft weit verbreitet. Dr. Meyer brachte es auf den Punkt: Der Aristokratismus edler und eigentlicher Art, der der Sitten und höhern Geistesbildung – mögte er jetzt und immer unsere bürgerlich gleichen Cirkeln alle beherrschen! Sei er hier das schöne Gesetz, und werde nie verdrängt von den lästigen und verächtlichen Ausbrüchen des Aristokratismus des Reichthums.[11] Offensichtlich war das mehr Wunsch als Wirklichkeit. Die Aristokratie des Reichtums gab in der Gesellschaft der Republik den Ton an. Rechtsanwalt Ferdinand Beneke sekundierte: Die ungeheure Vervielfältigung der sinnlichen Genüsse aller Art, durch keine angemessene Kultur modificirt, hat verderbliche Leidenschaften und Ruhestörende Wünsche in das Stille Hauswesen der Bürger gebracht, und das Beyspiel hat sie durch alle Stände verbreitet.[12] Ein Riss bedrohte die Gesellschaft, ein Teil der Bürger schien aus der Solidarität des Gemeinwesens ins gegnerische Lager der Aristokratie überzulaufen.
Wer waren in Hamburg diese Superreichen und was taten sie mit ihrem Geld? Caspar Voght, der Analytiker der Armut, verzehrte in seinen guten Zeiten jedes Jahr 80.000 Mark.[13] Es ging noch mehr. 1796 gaben die Parishs 217.000 Mark aus. Das war Rekord, darin enthalten waren aber auch 6.500 Mark für Getreidekäufe für die Armen und ein Zuschuss von 1.000 Mark für den Bau von Abendroths Kleinwohnungen für Obdachlose.[14] Das Fest des Luxus und der Moden ging derweil weiter. 1805 bewirtetet John Parish an seinen Tafeln 1954 Personen, die 2232 Flaschen Wein tranken. Der Gastgeber hatte Interesse an Statistik. Bei Gelegenheit stellte er das Durchschnittsalter der Geladenen in Relation zur Anzahl der geleerten Flaschen. Ergebnis: Die Jugend trank mehr – erheblich mehr. Vielleicht war das einer der Gründe für den vernünftigen, aber schwerreichen Hausherren, seine Söhne vor Extravaganzen zu warnen.[15] Er selbst war 1756 als Schiffsjunge aus Schottland nach Hamburg gekommen und dann im Amerikahandel zu einem der reichsten Männer Europas geworden.[16] Er stand nicht allein mit seinen Millionen. Wer also waren sie?
1808 hatte ein börsenbekannter Versicherungsmakler dankenswerterweise eine Liste der reichsten Männer Hamburgs zusammengestellt. 1792 war er bankrottgegangen, aber das ließ sich in der agilen Republik reparieren.[17] Vom Finanzamt hatte er seine Zahlen nicht. Die Steuerverwaltung der Republik blieb über die Vermögensverhältnisse ihrer Bürger offiziell im Dunklen. Ein Blindekuh-Spiel[18] nannte Bürgermeister Dr. Bartels die Erhebung von Vermögens- und Einkommenssteuern und war verstimmt. Es waren also eher Zahlen, die die Börse auf mysteriöse Weise erzeugte und die dann in den Salons unter der Hand herumgereicht, genüsslich kommentiert und angereichert wurden. Sie beeinflussten den Kredit. Der courante Geschäftsmann ließ diskret und auf vielfältigen Wegen wissen, wie viele Millionen hinter ihm standen – durch verlässliche Bedienung der Verbindlichkeiten, durch strategisch gestreute Zahlen hier und da, durch großzügige Geschenke und luxuriöse Häuser an der Elbchaussee.
Die meisten wussten ziemlich gut, dass die kommerzielle Öffentlichkeit dabei von Fall zu Fall getäuscht wurde. Wenn es herauskommen sollte, daß das Haus trotz der gewaltigen Kapitalien, die man bei ihm voraussetzt, in seinen Kapitalverfügungen gelähmt ist, - wie wird es dann mit seinem Kredite, diesem unschätzbaren Juwel unseres Berufes, aussehen? So fragte John Parish Senior unangenehm berührt seine Söhne.[19] Nicht so gut. Dann konnte jemand ganz leicht Veranlassung haben …, in aller Eile Einladungen zu einem großen Diner zu verschicken, um seinen Kredit zu fristen.[20] Aber dann war von den Millionen wohl nicht mehr viel übrig. Manchmal stimmten diese Zahlen, manchmal nicht.[21] Entscheidender und interessanter: Sie wurden an der Börse und in den Salons geglaubt. Der Geschäftsmann hatte eine von Courant und Banco geprägte Vorstellung davon, wer ihm gegenüberstand – um es etwas krasser zu formulieren: wie viel er wert war. Am verlässlichsten waren natürlich die Millionäre und Multimillionäre. 41 sollte es davon in Hamburg geben, mit einem Gesamtvermögen von 67 Millionen Mark.
Der reichste war Johann Peter Averhoff mit 6,5 Millionen, Bankier und Spezialist für das Schwedengeschäft, gefolgt von Johannes Schuback mit 4 Millionen, ebenfalls Bankier und Assekuranzfachmann, liberal und aufgeklärt übrigens, seine Söhne ließ er von Joachim Heinrich Campe erziehen, dem Starpädagogen des Fortschritts.[22] Selbst im hohen Alter trocknete Averhoff noch die Thränen vieler Witwen und Waisen.[23] Er war eben Geschäftsmann, Patriot und Humanist. Die Hamburger Bürgerwelt liebte das. Dazu kamen in der Kategorie um die 3 Millionen die Chapeaurouges, die Godeffroys, Martin Johann Jenisch, die Parishs und die Roosens, Leute, die jährlich ein Vielfaches der 25.000 Mark verzehren konnten und das auch taten, siehe der Haushalt Parish. In der Kategorie der Vermögen zwischen einer halben und 1 Million wurde es mit den 25.000 Mark Jahreseinkommen langsam eng, zumal von den 33 Haushalten und Firmen auf der Liste die meisten eher bei 500.000 als bei 1 Million lagen. Darunter musste in irgendeiner Form für das schöne Leben gearbeitet werden. In dieser Vermögensklasse waren die meisten Senatoren zu Hause – 15 waren es mit Vermögen zwischen 150.000 und 300.000 Mark, darunter auch Abendroth und Bartels, jeder auf 150.000 taxiert. Das reichte selbst für die Finanzierung eines mittleren Haushalts nicht mehr.
Aber wo lag das Problem? Nicht Geburt, Verdienst nur ehrt![24] Diese bürgerliche Regel wurde 1790 an der Alster zur Feier des Jahrestages der Revolution besungen, Georg Heinrich Sieveking hatte zweckmäßig und in humaner Absicht gedichtet. Danach sah es unter den Hamburger Millionären eigentlich nicht schlecht aus. Averhoffs Vater war Gastwirt in Altona, vom Seemannsleben John Parishs war schon die Rede. Viele Selfmade-Millionäre waren aufgeklärte Philanthropen. Averhoffs Stiftung verfügte noch 100 Jahre nach seinem Tod über ein Millionenkapital.
Sorgen machte den Zeitgenossen eher ein beispielloser Konsumrausch, der die republikanische Spannkraft schwächte. Luxus breitete sich aus und man fühlte sich nicht ganz wohl dabei. Die Welle der Bankrotte 1799 wurde als Strafaktion des Schicksals verstanden. Sie steigerte die Orientierungslosigkeit und schärfte die diffuse Gesellschaftskritik, die ihre Ratlosigkeit klug und beziehungsreich in römische Tugendlehren kleidete. Luxus und Verweichlichung wurden zu Schlüsselbegriffen für die etwas herberen Aufklärer wie den Mediziner Johann Jakob Rambach: Die UnglüksFälle, welche unsere Handlung im lezten Herbst betrafen, haben zwar diesen übertriebenen Luxus etwas vermindert, aber er ist fast allen BürgerKlassen schon zu sehr zur Gewohnheit und zum Bedürfniß geworden, als daß seine Abnahme schnell erfolgen sollte, und der gute Genius unserer alten Einfachheit scheint leider auf immer sein Antlitz von uns gewandt zu haben.[25] Dr. Rambachs Analyse kam von Herzen, war aber etwas unbestimmt.
Wurde man durch Entbehrung zum besseren Bürger oder zum besseren Menschen, wurde die Gesellschaft dadurch gesünder? Manche neigten zu dieser Ansicht. Armut die menschenvertilgenden Luxus zurükhält, ist der Bevölkerung vorteilhaft.[26] Das klang ziemlich stark: menschenvertilgender Luxus, das suggerierte Lasterhaftigkeit, unnatürliche Begierden und eine Schwächung der biologischen Vitalität. Johann Heinrich Bartels hatte es mit ominösem Unterton aus Italien geschrieben und meinte damit, dass Luxus ein gesundes Bevölkerungswachstum verhindere. Es war ein klassisches Argument, das römische Autoren schon ventiliert hatten, als sie sich um den Gesundheitszustand ihrer eigenen Republik sorgten.
Die wohlhabenden Schlemmer in Hamburg fanden das aber nicht und betrachteten ihre frugalen Vorfahren mit Skepsis. Selbst Georg Heinrich Sieveking neigte nicht zur Selbstkasteiung. Luxus, Vergnügen und Bequemlichkeit seien ein mächtiger Trieb zu einer nützlichen Thätigkeit.[27] Demnächst erklärte er den eleganten Aufwand zur höheren Bürgerpflicht und den Luxus zu einer Anstalt zur Förderung von Prosperität und Fortschritt.[28] Denn das schöne Leben wirkte wie ein permanentes Konjunkturprogramm, das Geld in die Taschen von Handwerkern und Unternehmern spülte. Sie profitierten von den Aufträgen der reichen Häuser. Sieveking ging noch weiter: Ohne Luxus keine Aufklärung. Ein gewißer Grad des Luxus ist durchaus von der Aufklärung unzertrennlich. Die Bedürfnislosigkeit des Otaheiters – das war der edle, aber etwas unterbelichtete Tahitianer, den die Salons liebten – wäre für uns kein Glück. Sie ist es für ihn nur wegen Mangels an Vorstellungen und Kenntnissen.[29] Die hohe Zivilisation des Wissens und des Fortschritts war ohne Reichtum gar nicht zu denken.
Dieser Standpunkt geriet von Zeit zu Zeit in das Kreuzfeuer der Kritik. Populäre Revolutionäre neigten dazu, sich über den Luxus der oberen Klassen zu echauffieren. So war es 1789, so war es 1830. Es blieb nicht unwidersprochen. Ausgerechnet Senator Abendroth, selbst nicht übermäßig mit weltlichen Gütern gesegnet, fasste 1830 noch einmal alle Argumente zusammen, die es auch dem ausgabefreudigsten Millionär erlaubten, sich für ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu halten. Sie stammten direkt aus der Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe. Die Diskussion über Luxus und Bürgertugend hatte ihn nachhaltig beeindruckt. Niederträchtigerweise wird es scharf getadelt, daß der Wohlhabende Luxus treibt – warum soll er dies nicht, wenn er sonst wohlwollend gegen seine armen Mitbürger ist? Vom Luxus der Wohlhabenden leben wieder eine Menge Leute, und ist es eine bekannte Meinung aller Staatslehrer, daß die durch den Luxus bewirkte Circulation des Geldes höchst wohlthätig auf das Ganze wirkt – würde es zuträglicher und wünschenswerth seyn, den Gewinnst im Koffer zu verschließen? Hat irgend ein Nothleidender dadurch gelitten? Werden dadurch eine Menge Menschen nicht in den Stand gesetzt, nicht nur sich selbst zu ernähren, sondern vielleicht selbst dem Dürftigen etwas zu geben?[30] Besser konnte man es nicht sagen. Zu erinnern war in diesem Zusammenhang auch an die Meinung seines Freundes Bartels, der den Bau von Palästen wegen seiner positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt liebte.
Ohne Luxus also eine Gesellschaft der Armut, der Dummheit und – der Arbeitslosigkeit. Die wollte niemand, Sieveking schon gar nicht, und so rief er zum verantwortungsvollen Genuss auf: Genieße – ist das große Gesetz der reinen Freude, das die Vernunft sanctionirt – genieße alles, was du kannst, ohne eine Pflicht zu verletzen, ohne einen höhern, längern Genuß aufzuopfern.[31] Der aufgeklärte Millionär sollte Bürgersolidarität zeigen, Gutes tun und seinen politischen Pflichten nachkommen. Sieveking demonstrierte, wie man sich das vorzustellen hatte. In Neumühlen feierte er mit der großen Welt und scheute keinen Aufwand, im städtischen Zuchthaus entwarf er Pläne für die bessere Gesundheit der leidenden, aber leider straffällig gewordenen Menschheit. Ähnlich die Abendroth-Familie der nächsten Generation. Sohn August baute sich am Neuen Jungfernstieg ein elegantes Stadthaus, engagierte die ersten Künstler der Zeit und kümmerte sich gleichzeitig um Armenanstalt, Cholera und Kunstverein. Der patriotische Bürger hatte keine Berührungsängste, in welche Richtung auch immer. Im Gegenteil, die Kombination gehörte zum Rollenmodell.
Allzu sehr ins Auge fallen sollte das Luxusleben allerdings auch nicht, erwünscht war der diskrete Charme der Bourgeoisie. Sieveking hatte da ein paar Ideen: frugale Gastmähler, würdig-einfache Begräbnisse, simple Kleidung – die Männer machten es schon vor, aber unsere Frauen sind noch nicht so weit.[32] Das konnte doch auch sehr elegant sein. Und wäre es nicht schön, wenn junge Ehepaare ein paar Jahre im Haus ihrer Eltern lebten? Das würde die Kapitalakkumulation erleichtern. Das sagte er natürlich nicht, aber fast.[33] Auf den ersten Blick sah das etwas altmodisch aus, eine mittelalterliche Kleiderordnung im neuen Tugendzeitalter, und Kleiderordnungen hatten auch im Mittelalter nie so recht gewirkt. Aber es gab Hoffnung. Der Gesellschaftskritiker Sieveking schwenkte zu den Steuern über. Steuern zahlte jeder, auch der Ärmste, als Akzise auf Milch und Mehl. Sie konnten das Verhältnis der Bürger untereinander und ihr Verhältnis zu Mittelstand und Arbeitern mittel- und langfristig fundamental ändern.
Der Schlüssel für eine bessere und gleichere Gesellschaft lag in der Einführung einer Erbschaftssteuer. Ich bitte alle Denker, diesen Vorschlag ernstlich zu prüfen, so Sieveking 1791 in der Patriotischen Gesellschaft. Mich dünkt, diese Auflage hat keinen der Fehler anderer Auflagen, und wird mit der Zeit alle anderen vermindern, vielleicht gar entbehrlich machen.[34] War das realistisch? Auf jeden Fall musste der Staat dafür erheblich schlanker werden. Einige Jahre später taxierte Senator Bartels die Ausgaben der Republik auf 8 Millionen Mark pro Jahr.[35] Das war über eine Erbschaftssteuer kaum zu finanzieren. Sieveking blieb optimistisch. Durch diese Auflage kann … die Schuld des Staats getilgt, und ein Schatz zu den Staatsbedürfnissen gesammelt werden, der alle Auflagen entbehrlich macht.[36] Der schlanke Staat sollte ein gerechter, sozial ausgewogener Staat sein, denn außer der Senkung aller anderen Steuern und Zölle liegen in meinem Vorschlag noch große Vortheile für die Sittlichkeit: Vermehrung der Wohlthätigkeit unter den Lebenden, gleichere Vertheilung der Glücksgüter, Schwächung des Einflusses des Reichthums, der nicht zu gemeinnützigen Zwecken verwandt wird.[37] Gleiche Verteilung der Glücksgüter und Schwächung des Reichtums. Das kam jetzt einigermaßen überraschend.
Als Sieveking sich in der Patriotischen Gesellschaft für die Erbschaftssteuer starkmachte, führte das neue Frankreich sie gerade ein.[38] Einige Jahre später verfügte der Code civil die gleichmäßige Aufteilung von Erbschaften unter allen Kindern. Es war eine eiserne Regel der neuen Rechtsordnung, das Ende der Riesenerbschaften für die ältesten Söhne, das Ende der immer stärkeren Vermögenskonzentration von Generation zu Generation.[39] Glaubte man zumindest und der Glaube war stark. Manche Politiker und politische Ökonomen des 18. Jahrhunderts waren von einem seltsamen Optimismus über ein bevorstehendes goldenes Zeitalter der Gleichheit erfüllt – seltsam, weil es doch ganz anders kommen sollte.
Am optimistischsten vielleicht war der Marquis de Condorcet, ein wichtiger Stichwortgeber für die imaginierte neue Sozialordnung im postaristokratischen Europa. Es lässt sich leicht beweisen, hatte er in seinem Versuch über den Fortschritt des menschlichen Geistes geschrieben, dass die Reichtümer ihrer Natur nach auf Gleichheit angelegt sind und ein übermäßiges Missverhältnis ihrer Verteilung entweder nicht bestehen kann, oder rasch verschwinden muss, so lange nicht die bürgerlichen Gesetze durch künstliche Mittel die Anhäufung der Reichtümer befördern und ihren Fortbestand sichern. Es verschwindet, sobald die Freiheit des Handels und der Industrie den Vorteil beseitigen, den das Prohibitivsystem und die Steuergesetzgebung dem erworbenen Reichtum verschaffen.[40] Erbschaftssteuern, Erbteilung und Gewerbefreiheit folgten alle einem Zweck: mehr Gleichheit. Klang das wie Condorcet an der Elbe? Er klang nicht nur so. Sieveking erwarb die Rechte am Werk und sorgte für die Veröffentlichung, was ihn immerhin 70.000 Livres kostete.[41]
Ob die Hamburger Bürgergemeinde der Kaufleute und Handwerker so viel Gleichheit realisieren wollte, war völlig offen. Viel hing von den Zöllen ab, die nicht nur hoch, sondern auch undurchsichtig waren und einen großen Teil des Haushalts finanzierten. Hier konnte der Druck der Konkurrenz am ehesten eine Senkung erzwingen. Aber würde diese Dynamik zu mehr Gleichheit durch Erbschaftssteuern oder zu mehr Ungleichheit durch höhere Verbrauchssteuern führen? Beides war möglich. Es dauerte eine Weile, bis das Thema die politische Tagesordnung erreichte. Als es 1814 so weit war, forderten die kommerziellen Klassen mit einer Vehemenz ihre steuerliche Entlastung, dass es Senator Bartels wie der Beginn des Krieges der Reichen gegen die Armen vorkam. Es war so ziemlich das Gegenteil der philosophisch prognostizierten schönen, neuen Welt.
Vorerst jedoch passierte etwas anderes. Mit Beginn der Wirtschaftskrise und der Präsenz französischer Truppen schien der sichtbare Luxus zurückzugehen. Die großen Diners wurden selten, Kutschen wurden abgeschafft. Mir däucht, schrieb Karl Gries Anfang 1807, diese Beschränkung des in die Augen fallenden Luxus beweiset einen rühmlichen Sinn für das Schickliche; denn nicht bei allen, welche sich derselben unterwerfen, kann man annehmen, daß die Notwendigkeit sie dazu treibe.[42] Der Kommentar kam aus einer Familie, die fest im Senat fußgefasst hatte, aber nicht sehr reich war. Das kam ja häufiger vor, die Senatoren Bartels und Abendroth waren in ähnlicher Lage, und das führte dazu, dass die Rückkehr zur Bescheidenheit mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis genommen wurde.
Nur hielt die Zurückhaltung nicht lange vor. Ein halbes Jahr später, im Sommer 1807, amüsierte sich die elegante Gesellschaft schon wieder, als wäre nichts passiert. Sie konnte es nicht lassen, Geld gab es offensichtlich genug, und so sind alle Einschränkungen, welche Anfangs durch stillschweigende Übereinkunft eingeführt waren, schon wieder aufgehoben, und die verhaßte Frugalität hat dem ehemaligen Luxus wieder weichen müssen. Man schmauset und schwelgt, und die Belustigungsörter sind so besucht als jemals. - [43] Karl war pikiert. Aber die wiedererwachte Vergnügungslust hatte auch ihre guten Seiten. In der kurzen Periode der demonstrativen Frugalität hatte Gries schon bemerkt, dass Kutscher und Köchinnen mangels Aufträgen in Panik geraten waren. Dazu gab es jetzt keinen Grund mehr. Der Luxus schuf Arbeitsplätze, so wie Senator Abendroth es vorhersagte. Er führte dann aber auch zu neuchristlichem Gebrummel, einer Neuerscheinung der Zeit nach 1814. Ferdinand Beneke war immer noch für die Einführung von Luxussteuern, aber das Motiv hatte sich ganz und gar verändert. Die soziale Balance der Republik stand nicht mehr im Mittelpunkt. In unsern frivolen Zeiten ging es ihm darum, die Weltlust[44] zu mildern. Weltlust mildern? Das war jetzt das Letzte, worum sich ein aufrechter Aufklärer Sorgen machte.
Mehr Gleichheit also. Die Republik beschäftigte sich um 1800 damit und war zu kritischer Selbstbefragung aufgelegt. Noch kritischer war sie allerdings, wenn es um die Zustände im aristokratischen Ausland ging. Furchtbar, das war der Bürgerkonsens.
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] Bartels: Briefe, Bd. 3, S. 803.
[2] Bartels: Briefe, Bd. 3, S. 804f.
[3] Verhandlungen und Schriften, Bd. 5 (1799), S. 152f.
[4] Günther: Versuch, erste Textseite, keine Seitenzählung.
[5] Verhandlungen und Schriften, Bd. 5 (1799), S. 477.
[6] Meyer: Skizzen, Bd. 1, S. 52f.
[7] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 161–212, dort der Abdruck des Textes von Georg Heinrich Sieveking: Fragmente über Luxus, Bürger-Tugend und Bürger-Wohl für hamburgische Bürger, die das Gute wollen und können. Im November 1791 trug er diesen Text in der Patriotischen Gesellschaft vor, Johann Michael Hudtwalcker und Johann Arnold Günther kommentierten ihn.
[8] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 177.
[9] Verhandlungen und Schriften, Bd. 5 (1799), S. 181f.
[10] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 184.
[11] Meyer: Skizzen, Bd. 1, S. 127f.
[12] Beneke: Tagebücher, Bd. I/4, S. 515.
[13] Rist: Lebenserinnerungen, Bd. 2, S. 149.
[14] Ehrenberg: Haus, S. 109f.
[15] Aaslestad: Place, S. 184.
[16] Ehrenberg: Haus, S. 5.
[17] Schramm: Kaufleute zu Haus, S. 263f.
[18] Bartels: Abhandlungen, S. 165.
[19] Zitiert nach Ehrenberg: Haus, S. 97.
[20] Mann: Werke, Zauberberg (1981), S. 47.
[21] Schramm: Kaufleute zu Haus, S. 265–268.
[22] Schramm: Kaufleute zu Haus, S. 271–274.
[23] Westphalen: Zustand, S. 27.
[24] Sieveking: Georg Heinrich Sieveking, S. 51.
[25] Rambach: Versuch, S. 193.
[26] Bartels: Briefe, Bd. 1, S. 431.
[27] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 164.
[28] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 165.
[29] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 165.
[30] Abendroth: Beleuchtung, S. 8f.
[31] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 166.
[32] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 169
[33] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 174, für die beiden letzten Zitate.
[34] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 177f.
[35] Bartels: Abhandlungen, S. 92.
[36] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 178.
[37] Verhandlungen und Schriften, Bd. 4 (1797), S. 179.
[38] Piketty: Kapital, S. 449.
[39] Kähler: Zivilrecht, S. 200.
[40] Zitiert nach Piketty: Kapital, S. 482f.
[41] Französische Miszellen, Bd. 9, 1805, S. 152f; vgl. dazu auch die lakonische Auskunft bei Sieveking: Georg Heinrich Sieveking, S. 30f.
[42] Karl Gries an seinen Bruder Diederich, 18.2.1807, zitiert nach Reincke: Briefwechsel, S. 248
[43] Karl Gries an seinen Bruder Diederich, 1.8.1807, zitiert nach Reincke: Briefwechsel, S. 249.
[44] StAHH, Familie Beneke Ferdinand Beneke C 11, Anmerkung Benekes zum Memorandum Johann Caspar Gläsers über das Protokoll der Zwanziger, 1817.


